„Gefühle haben im Unternehmen nichts zu suchen“, lautet oft die Ansage von Führungskräften und Mitarbeitern. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz.
Erst neulich meinte die Verlobte meines Sohnes, dass man Gefühle besser außen vorlässt im Unternehmenskontext, als sie eine intensive Auseinandersetzung in unserem kleinen Familienunternehmen mitbekam. Tatsächlich ist es im Alltag sehr lästig, wenn Gefühle ins Spiel kommen. Wenn beispielsweise während eines Meetings auf einmal Tränen in die Augen schießen oder die Wut sich in einer gemeinen Bemerkung einer Kollegin gegenüber äußert, die hinterher für ein schlechtes Gewissen sorgt. Angst, Scham, Trauer und Wut zu fühlen ist richtig unangenehm. Sie wegzudrücken ist unsere gewohnte Strategie. Das Gefühl von Freude wollen wir dagegen möglichst oft spüren. Dafür stürzen wir uns gerne in Arbeit, Computerspiele,Sport, Serien, Aktionismus, Alkohol, Essen, Shopping…
Aber funktioniert das? Fühlen wir uns dadurch auf Dauer wirklich besser?
Wir sind so sehr damit beschäftigt unsere Aufgaben zu erledigen, dass wir manchmal vergessen, uns Zeit für uns selbst zu nehmen. Wir warten, pflegen und reinigen Maschinen, Autos und Geräte, um vorzusorgen, dass sie möglichst lange leben. Für unsere körperliche Gesundheit sorgen wir vielleicht auch noch, aber was unsere seelische Gesundheit anbelangt, befinden wir uns in einem Entwicklungsland.
Unsere Seele braucht unsere Fürsorge, damit wir möglichst lange in hoher Qualität leben. Wenn eine Maschine nicht funktioniert, suchen wir den Fehler und wenn wir nicht mehr weiter wissen, holen wir den Kundendienst. Der macht sich daran, zu suchen, was genau nicht funktioniert. Wieso nehmen wir uns nicht die Zeit uns selbst auf den Grund zu gehen, warum wir dauerhaft müde, gestresst, überfordert sind? Wieso sprechen wir nicht mit Partnern, Freunden, Familienangehörigen, Kollegen oder in schwierigen Lebensphasen mit Coaches und Therapeuten?
Das stellte Antonio Damasio, ein bekannter Neurowissenschaftler durch seinen Patienten Elliot fest. Chirurgen schnitten ihm einen Tumor heraus sowie einen Teil des Stirnlappens, des vorderen Teils der Großhirnrinde. Damasio schrieb über seinen Patienten Elliot "In den vielen Stunden erlebte ich bei ihm nie einen Anflug von Emotion: keine Traurigkeit, keine Ungeduld, keinen Überdruss angesichts meiner endlosen Fragerei." Selbst von seinem eigenen Schicksal erzählte Elliot als sei es eine Nachricht aus der Zeitung. Offenbar waren mit der Operation Hirnareale zerstört worden, die für die emotionale Wahrnehmung und Bewertung wichtig sind. Erst nach vielen Gesprächen und Untersuchungen wurde dem Neurologen klar, dass es Elliot nicht an Intelligenz oder Wissen mangelte, sondern an etwas anderem, und dass dies die Ursache für sein unvernünftiges Verhalten sein könnte: Dem Mann fehlte es an Gefühl. Er wurde arbeitslos, seine Ehe ging in die Brüche, er ließ sich auf dubiose Geschäfte ein, geriet in finanzielle Not und landete schließlich in der Obhut seiner Geschwister.
Der Begriff wurde 1990 von John D. Mayer und Peter Salovey eingeführt und beschreibt die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen. Laut Goleman (1997) ist emotionale Intelligenz eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg am Arbeitsplatz. Er beschrieb die emotionale Intelligenz als die Fähigkeit eines Menschen, seine Gefühle so zu steuern, dass diese angemessen und effektivausgedrückt werden.
Doch was ist, wenn uns die Gefühle zu übermannen drohen?
Wenn die Wut mich fest im Griff hat und ich mein Gegenüber verbal fertig mache oder die Traurigkeit über den Verlust des Jobs, einesFreundes mich völlig passiv und depressiv werden lässt oder der eiskalte Griff der Angst mich lähmt und ich nur noch in Horrorzukunftsszenarien denke?
Gefühle können wir nur steuern, wenn wir sie wahrnehmen, anerkennen und annehmen. Oft nehmen wir Körpersignale wahr wie Unruhe, Herzklopfen,Druck auf der Brust, Zittern, Schwitzen… es hilft, innezuhalten und nach innen zu schauen, was in mir vorgeht. Was lässt mich so reagieren? Welches Gefühl liegt diesen Körpersignalen zugrunde? Angst, Wut, Trauer…? Manchmal braucht es die Unterstützung eines Freundes, eines Coaches oder eines Therapeuten damit ich diese intensiven Gefühle fühle, ihnen entgegentrete und auf Augenhöhe aufrichtig und ehrlich begegne und nicht weglaufe.
Gefühle kommen in Wellen und sind Momentaufnahmen. Die Frage ist, wie wir sie bewerten. Erachten wir sie als angebracht und in Ordnung, können wir sie kommen und auch wieder gehen lassen. Bewerten wir sie als nicht in Ordnung, verhaken wir uns in Gedanken, tragen sie weiter mit uns herum und bekämpfen sie. Solange wir das "was ist" bekämpfen, machen wir nichts anderes als negative Urteile und Gedanken gegen uns selbst zu richten, uns selbst zu schwächen und uns in unserer Entwicklung zu blockieren.
Gefühle sind nicht nur Empfindungswallungen, denen wir ausgeliefert sind, sondern Kräfte, mit denen wir unser Leben gestalten können. Vivian Dittmar (2017) hat dazu eine für mich sehr wertvolleGebrauchsanweisung entwickelt in ihrem Buch Gefühle & Emotionen.
hat die Aufgabe Veränderung herbeizuführen,Entscheidungen zu treffen, sich klar zu positionieren und sich abzugrenzen. In Wut liegt eine Menge Energie. Wenn wir uns Greta Thunberg anschauen, hat ihre Wut über die Ignoranz Der Menschen gegenüber der Klimaerwärmung dazu geführt, dass viel mehr Menschen auf die Klimakrise aufmerksam werden und darauf reagieren.
Die Wut kann sich aber auch zerstörerisch und destruktiv äußern, durch Gewalt wie wir ständig in den Nachrichten hören, aber auch die Wut, die sich über den Tag angestaut hat und später durch schlechte Laune am Ehepartner, Kind oder Mitbewohner ausgelassen wird. Eine spitze Bemerkung gegenüber Personen, die gar nichts dafür können. Schlechtes Reden hintenherum ist auch eine allseits beliebte Methode, um Dampf abzulassen. Sarkasmus,Ironie, nicht ernst nehmen ist im ersten Augenblick eine sich gut anfühlende Strategie, aber hinterlässt ein schales Gefühl, belastet und zerstört Beziehungen.
tritt in Gefahrensituationen auf oder wenn wir uns unbekannten Aufgaben stellen, die wir noch nie gemacht haben. Unser Herzschlag wird schneller, wir werden aufmerksamer und präsenter. Wenn ich eine Strecke zum ersten Mal mit dem Auto fahre, ist es wichtig, dass ich aufmerksam bin, um den richtigen Weg zu finden. Grundlegende Erfindungen wurden aus der Not heraus geboren. So zum Beispiel Kleidung, um nicht zu erfrieren, Ackerbau, um nicht hungern zu müssen, Werkzeuge, um besser an Nahrung heranzukommen und sie verarbeiten zu können, um Kleider zu nähen oder Behausungen zu bauen. Wir brauchen also die Angst, um kreativ zu sein.
Der Schatten der Angst ist, dass wir uns von ihr lähmen lassen und unangenehme Situationen vermeiden. Durch unsere Lebenserfahrungen haben sich unsere Einschätzungen vernebelt und wir erleben Situationen als gefährlich die, wenn wir es in der Realität betrachten, nicht gefährlich sind. Wir sind als Erwachsene in der Lage sie zu bewältigen, aber weil wir sie als Kind oder Jugendlicher als überwältigend erfahren haben, hat unser Gehirn sie als gefährlich abgespeichert. Auch hier spielt das Bewusstwerden eine wichtige Rolle. Wenn wir Angst unterdrücken, wird sie nicht kleiner, sondern größer. Sie wird zu einem Berg, den wir nicht besteigen wollen. Angst ist eine dunkle Kraft, die sich uns erst erschließt, wenn wir uns auf sie einlassen.
lehrt uns Demut und Reflexion. Aus Fehlern zu lernen ist der effektivste Weg für Lernen. Ohne Fehlererfahrungen keine Weiterentwicklung. Vorausgesetzt ich übernehme die Verantwortung für meine Fehler. Scham verhindert, dass wir abheben, zu arrogant werden und die Bodenhaftung verlieren.
Der Schatten von Scham ist die Selbstentwertung und die Selbstzerfleischung. Wir würden uns am liebsten in ein Mauseloch verkriechen oder uns in Luft auflösen, statt die eigenen Schwächen einzugestehen und zu reflektieren, über uns, unsere Entscheidungen und unser Leben. Nach außen tun wir so, als wenn es nicht so schlimm wäre, verteidigen uns und erklären endlos, aber im Inneren sind wir dabei uns zu zerfleischen, uns schwere Vorwürfe zu machen und schuldig zu sprechen, um am Ende diese Selbstanschuldigungen in Vorwürfen nach außen zu tragen.
hat die Aufgabe Menschen, Jobs, Systeme und Dinge loszulassen, die nicht mehr sind. Es gilt anzunehmen was ist und sowohl mit unseren Wünschen als auch mit der Realität Frieden zu schließen. Der Schmerz und die Trauer sind bittersüß. Ich erinnere mich an die Trauerfeier eines guten Freundes. Seine Frau in einem Augenblick traurig, aschfahl und zerbrochen zu sehen um sie im nächsten Augenblick mit lebendigem Gesichtsausdruck von seiner leckeren Tomatensauce erzählen zu hören, die sie noch tiefgefroren im Eisschrank hatte und den wundervollen Augenblicken ihres gemeinsamen Lebens. Es war ein Wechselbad von tiefer Traurigkeit, Unfassbarkeit, Freude, Wertschätzung und Dankbarkeit, dass dieser Mensch Teil meines Lebens war. Die Würdigung eines Menschen, Jobs oder Systems hilft uns diese loszulassen.
Der Schatten ist die Passivität. Trauer ist ein intensives und schmerzhaftes Gefühl, in dem man sich verlieren kann, sich aus dem Leben zurückzieht und selbst innerlich zu sterben droht.
hat die Aufgabe das Leben zu feiern, die Menschen, Momente, Natur, Dinge und Systeme, die unser Leben bereichern, wertzuschätzen. Vor ein paar Wochen heiratete mein Sohn. Es war eine Freude anzusehen, wie glücklich er und seine Frau waren, als sie feierlich einzogen, sich ihre Versprechen gaben, uns als Familie und Freunde daran teilhaben ließen. Mein Sohn drückte seine Freude in einem selbstgeschriebenen Lied aus: „Ich sag ja! Ich freu mich so auf ein Leben mit Dir!“
Der Schatten der Freude ist die Illusion. Oft haben wir ein klares Bild, wie unser Leben aussehen sollte, wie unsere Kinder zu sein haben, wie Beziehungen gelebt werden sollten, wie unsere Karriere ablaufen muss, wie wir alt werden wollen. Und wenn das nicht so eintrifft, ist es fast unmöglich, das „so ist es“ anzunehmen.
Zu unseren Bedürfnissen, um ein erfülltes Leben zu führen. Aus erfüllten Bedürfnissen entstehen die angenehmen Gefühle. Aus unseren unerfüllten Bedürfnissen entstehen die unangenehmen Gefühle. Sie sind unser Antrieb und der Motor unseres Lebens. Wenn wir Hunger haben, essen wir, wenn wir müde sind, schlafen wir und wenn wir Luft brauchen, atmen wir. Genauso unbewusst, wie unser Atmen sind oft unsere seelischen Bedürfnisse.
Viele nehmen nicht wahr, dass ihnen Ruhe, Sinn oder Unterstützung fehlt. Gelernt haben wir meist schon von unseren Eltern, dass wir Gefühle und Bedürfnisse verdrängen, statt ihnen Raum zu geben, herauszufinden, was fehlt und was wir brauchen, um verantwortungsvoll für uns selbst zu sorgen.
Überall wo Menschen gefordert sind, zusammenzuarbeiten, kommen früher oder später Gefühle ins Spiel, ob es uns gefällt oder nicht.
In Firmen und Organisationen fließt viel Zeit und Geld in Machtspielchen, Selbstdarstellung, Konflikte, Grabenkämpfe und schlechte Kommunikation.
Wie viel sinnvoller wäre es diese Zeit, Geld und Kraft zu investieren, um uns unseren Gefühlen und Bedürfnissen zuzuwenden, Stärken und Schwächen zu verstehen, menschliche Grenzen zu erkennen, persönlich zu reifen und uns bewusster und effektiver auf unsere Ziele auszurichten.
Dann haben wir mehr Lebenskraft übrig, um sie auf Dinge zu verwenden, die wir wirklich tun wollen, die uns Freude machen und uns erfüllen.
Die Welt ist im Wandel und so sind wir. Hier finden Sie Themen und Fragen, die uns gerade beschäftigen.
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